Mein Lieblingsrum hat ein „Update“ bekommen – zum zweiten Mal. Wie schon beim ersten Mal vor rund einem Jahrzehnt änderte sich nicht nur das Flaschendesign, sondern auch der Geschmack, also die Rezeptur. Nun ist es dieses Mal leider passiert, dass mir mein Lieblingsrum mit seiner neuen „verbesserten“ Rezeptur nicht mehr schmeckt. Also überhaupt nicht! Ich wurde meines Lieblingsrums beraubt. Und das nicht zum ersten Mal: Schon beim ersten Upgrade ging mein damaliger Lieblingsrum verloren, doch immerhin konnte ich mit der neuen Version anfreunden – der war auch ziemlich gut!
Was jetzt klingt, als würde ich einfach gerne herumheulen, statt die Augen nach neuem Rum offen zu halten, ist in Wirklichkeit ein systematisches Problem in der Spirituosenwelt. Auch Whisky-Profis werden mir Recht geben, dass die Spirituosenwelt vor 10 Jahren nicht mehr mit der von heute zu vergleichen ist. Damals entfalteten sich gerade gleichzeitig mehrere Segmente: Plötzlich gab es „richtig guten Gin“ und „richtig guten Rum“ – beides für sehr großen Teile der Bevölkerung völlig neue Konzepte! Als nächstes kommt dann wohl „leckerer Tequila“?!? (Kleiner Spoiler: Den gibt es tatsächlich, aber es gibt einen Grund, warum wir ihn viel zu selten bekommen; mehr dazu später). Immer wieder tauchten neue, wahnsinnig spannende Produkte auf und jeder wollte dem anderen beweisen, dass er das mit dem Rum/Gin/Whisky noch besser kann als alles bisher da gewesene. Es waren glorreiche Zeiten – echte Aufbruchsstimmung! Die ersten Jahre dieser Entwicklung waren der Wahnsinn: Auf Messen gab es immer wieder so viel Neues und Tolles zu entdecken und die wirklich guten Produkte wurden hoch geschätzt, ihre Schöpfer hoch geachtet… doch das alles ist vorbei.
Gibt es keine guten Spirituosen mehr?
Aber wo liegt denn heute das Problem? Gibt es also keine guten Spirituosen mehr?
Nein, das ist absolut nicht das Problem, dass es keine guten Spirituosen mehr gäbe – es hat nur niemand wirklich Lust darauf, uns diese richtig guten Spirituosen zu verkaufen. Es ist nämlich viel einfacher und vor allem VIEL lukrativer, uns einfach Mist zu verkaufen. Am besten sehr teuer und in großen Mengen. Und genau da hat sich die Spirituosenwelt verändert.
Ganz am Rande, keine Sorge: Ich rede hier vornehmlich über Rum und Gin, weil sie am stärksten unter den Symptomen der Veränderung leiden, aber ich spreche auch noch über die meisten anderen Spirituosen!
Also, vor 10 Jahren mussten Rum-Hersteller oder Gin-Brenner noch etwas beweisen: Sie mussten beweisen, dass es überhaupt möglich ist, großartigen Rum oder Gin zu produzieren. Sie mussten die Menschen überreden, ihnen eine Chance zu geben, zu probieren und sie damit überzeugen. Dafür durften auch gute Produkte einfach nicht zu teuer sein. Man stelle sich vor, jemand hätte vor 10 Jahren einen neuen, unbekannten Gin mit Fokus auf irgendeinem obskuren Botanical (was weiß ich… Affenbrotbaumkerne!) vorgestellt und versucht, den für 45 EUR pro Flasche zu verkaufen. Man hätte diese Person ausgelacht.
Leider wird diese Person heute nicht mehr ausgelacht, sondern ernstgenommen und teilweise als Visionär/in gefeiert, die die Ginwelt voranbringt.
30 bis 40 Euro galten als Grenze für „wirklich guten Rum“
Dasselbe gilt für Rum. Früher musste ein neuer Rum auf dem Markt alles in den Schatten stellen, was es gab. Dabei sollte er aber höchstens 30 Euro kosten… vielleicht sogar mal 60 Euro, wenn er denn wirklich lange gelagert wurde und wirklich ausgezeichnet schmeckte, aber so ein teurer Rum lag in einer Nische für Kenner und Spinner. Um die 30 bis 40 Euro galten als Grenze für „wirklich guten Rum“.
Heute kann ich ein minderwertiges, kaum gelagertes Produkt ohne Altersangabe mit Aromen versehen, wie ich Lust habe, dann verpasse ich dem Ganzen ein schönes buntes Etikett und einen coolen Namen und bekomme, ohne dass der Kunde mit der Wimper zucken würde, 40 Euro dafür. In Worten: Vierzig Euro für einen Mist-Rum auszugeben ist heute kein Problem mehr. Jaja, der schmeckt den Kunden vielleicht sogar, aber Kindern schmecken auch Billig-Gummibärchen und die sind auch objektiv betrachtet Mist – nur zahlt dafür niemand 40 Euro.
Dumme Kunden
Dies ist wieder so ein Fall, bei dem jetzt viele in der Branche den Zeigefinger heben, um ihn vorwurfsvoll auf die Kunden zu richten: „Ihr dummen Kunden, ihr kauft halt lieber schlecht und billig! Ihr hättet das alles verhindern können!“
Aber das ist falsch, wie schon mein Lieblingsrum zeigt. Ich hab gar nichts gemacht – mein Lieblingsrum ist trotzdem zum zweiten Mal einfach verschwunden und der Grund hierfür ist nicht der „dumme Kunde“, sondern die Gier, die sich inzwischen auch erfolgreich im Segment der Spirituosen durchgesetzt hat und das Streben nach dem Besonderen ersetzt hat.
Ich hatte es bereits erwähnt: Warum soll ich mir als Produzent heutzutage noch die Mühe machen, etwas ganz Besonderes herzustellen, wenn ich auch einfach billigen Mist produzieren kann, für den die Menschen genau so viel bezahlen? Der Kunde hat doch kaum noch die Wahl, wirklich gut produzierte Spirituosen zu kaufen! Es gibt sie natürlich, aber es besteht ein großes Interesse von Seiten der großen Hersteller, dass wir sie möglichst nicht mehr finden.
Ein Geheimtipp sein und gleichzeitig so erfolgreich
Natürlich ist der Spirituosenboom der letzten 10 Jahre mit schuld an der Misere: Diverse kleine Nischenhersteller wurden zu großen Produzenten und dann ist es leider nicht mehr möglich, kleine sorgfältig abgeschmeckte Batches von Hand abzufüllen. Dann kommt die Effizienz ist Spiel und jeder, der kocht, malt, bastelt oder sich sonst wie produktiv-kreativ betätigt, sollte wissen, dass Effizienz und Exzellenz sich gegenseitig ausschließen. Es ist das sogenannte Berlin-Paradoxon: Wie kann meine Marke gleichzeitig „voll underground“ und ein Geheimtipp sein und gleichzeitig so erfolgreich, dass sie jedes Jahr weiter wächst und ich mir meine Arbeit auch ordentlich bezahlen lassen kann. Leider schaffen diesen Spagat nur sehr wenige, ohne die Marke dabei auf der Strecke bleiben zu lassen.
So entstehen heute Spirituosen – ich war dabei:
„Gut, wir brauchen Namen, Flaschenform, Etikett und Bildsprache. Alles soll auf 45 bis 55 Euro pro Flasche hinauslaufen – also muss das stimmig sein. Natürlich nicht zu edel, denn in dem Segment kann unser Produkt wahrscheinlich geschmacklich nicht mithalten… ach ja, und natürlich brauchen wir noch eine Rezeptur! Ich mach mal ein paar Probemischungen bereit und dann schauen wir mal…“
Wer findet den Fehler? Das Produkt ist zum Beiwerk degradiert worden. Die sogenannte „Geschichte“, die sich durch die gesamte Vermarktung ziehen muss, ist deutlich wichtiger als der Inhalt der Flasche und solange das so bleibt, kann es nur schlimmer werden.
Sind wir also als „dumme Kunden“ jetzt hilflos ausgeliefert? Aber nein! Ich hab hier mal ein paar gemeine Fragen vorbereitet, die ihr als Kunden auf Messen stellen solltet, denn nur dort kann man direkt den Produzenten begegnen. Diese Fragen sind nach Spirituosensorte geordnet:
Gin
„Verwenden Sie für den Gin eingekauften Agraralkohol oder brennen Sie selbst den Alkohol?“
Die Antwort wird immer sein, dass eingekaufter Agraralkohol verwendet wird, denn so macht man Gin nun mal. Dann wird dieser in einer Gin-Brennblase noch einmal destilliert und dabei an den Botanicals (also geschmackgebenden Stoffen) vorbeigeleitet, um Geschmack aufzunehmen.
Dann kann man natürlich gerne die Frage stellen, warum irgendein Gin mehr kostet soll als 30 Euro – denn kein Preis über 30 Euro für einen Gin ist gerechtfertigt. (Außer Bio-Gin, der ist wirklich teurer in der Herstellung und darf 35 EUR kosten)
Rum
„Ist der wirklich 10/12/20 Jahre alt?“
Die meisten Hersteller dürfen Altersangaben erfinden. Es gibt Länder mit Regeln und Länder ohne Regeln. Da das alles sehr kompliziert ist, kann man ja ruhig mal fragen. Kleiner Tipp hierzu: Wenn ein Rum „Solera“ im Namen hat, ist die Altersangabe NIEMALS präzise – wer versucht, euch doch zu sagen, dass ein Solera 12 wirklich 12 Jahre alt ist, dann Finger weg von diesem Rum!
„Ist der nachgezuckert?“
Ja, Rum bekommt zwei Fragen, denn die mit dem Zucker ist wichtig! Gut 95% der „süßen, leckeren“ Rums sind so lecker, weil ein Haufen Zucker drin ist. Das kann zwar lecker schmecken, aber ein Hersteller sollte auch dazu stehen können.
Whisky
„Warum hat der keine Altersangabe?“
Tja, eigentlich kann man sich diese Frage auch sparen, denn es waren die Whiskyhersteller, die das System des „Mist für immer teurer verkaufen“ erfunden haben. Nun gibt es beim Whisky aber einen Haufen Regeln, die man absolut einhalten muss, weshalb es immer einen Mindeststandard geben wird. Die Antwort ist meist: „Man braucht keine festen Altersangaben – wichtig ist, wie er schmeckt.“
Wodka
„Ist da Glycerin oder Zucker drin?“
Damit erwischt ihr fast jeden Hersteller! Es ist nämlich erlaubt, Glycerin und kleine Mengen Zucker in den Wodka zu geben. Das macht ihn dann „rund und mild“. Aber eigentlich besteht reiner Wodka aus Ethanol und Wasser (weshalb ich irgendwann auch den Kunst-Wodka ETHANOLSKï produziert habe, um genau das zu feiern!).
Ich kenne nur einen Wodka, der wirklich anständig produziert wird: Florian Renschin erntet für seinen Freimut-Wodka tatsächlich Getreide, das er zu einer Maische ansetzt, die er dann brennt. Also vom Feld in die Flasche, das ist sehr cool und darf auch gerne 30 Euro kosten. Ansonsten ist kein industriell produzierter Wodka mehr als 15 Euro wert. Es ist (fast immer) eingekaufter Alkohol und Wasser!
Tequila
„Ist der aus 100% Agave und kommt der aus Mexiko?“
Nur Tequila aus 100% Agave und aus Mexiko ist richtiger, Original-Tequila. Und ja, ich hatte es vorhin angedeutet: Der schmeckt richtig gut! Eine spannende, einzigartige, intensive Spirituose. Es gibt auch richtigen fassgelagerten Tequila. Ruhig mal nach den Schlagworten „Reposado“ und „Anejo“ die Augen offen halten.
Aber warum haben wir in Deutschland denn die feste Meinung, dass Tequila ganz, ganz furchtbar schmeckt und nur mit Salz und Zitrone zu ertragen ist? (Das machen Mexikaner nämlich nicht!) Daran ist allein die Industrie schuld. Man ließ in Deutschland ein Gesetz ändern, das es möglich machte, Tequila mit nur 51% Agave als Tequila zu verkaufen. Das geht in den meisten Teilen der Welt nicht! Dieser minderwertige Mist ist leider immer noch das, was die meisten Menschen in Deutschland mit echtem Tequila verwechseln…
Nur ein mündiger Kunde ist ein mächtiger Kunde.
Nur ein mündiger Kunde ist ein mächtiger Kunde. Nutzt die oben gezeigten Fragen und die Hersteller werden ganz schnell merken, dass man uns nicht mehr jeden Mist zu jedem Preis andrehen kann. Wir können sie zwingen, wieder hochwertiger zu produzieren. Vielleicht kommen ja auch wieder neue, hungrige, junge Produzenten auf den Markt, die für einen angemessenen Preis hervorragende neue Produkte anbieten können und wollen – weil sie ein Produkt haben, das sie uns zeigen wollen; nicht, weil sie uns eine Geschichte verkaufen wollen!
Wer übrigens mehr über die Geschichte der Spirituosen erfahren möchte, die wir heutzutage trinken, sollte mein historisches Tasting in München besuchen.
Die Infos findet ihr unter www.cocktail-kurse.com.