Warum jeder einmal im Leben Rhum agricole probiert haben sollte

Wir bei omoxx lieben gutes Essen und tolle Getränke. Ja und wir versuchen immer aus erster Hand zu berichten. Immer, na ja fast immer. Doch manchmal gibt es auch „Projekte“, bei denen wir froh sind, dass es Blogger, Experten, Journalisten und/oder auch Freunde oder Bekannte gibt, die sich in einem Gebiet vielleicht ein kleines bisschen besser auskennen als wir… (kommt sehr selten vor aber passiert ;) Wir glauben zwar, dass auch Rum zu unseren Kernkompetenzen beim Thema „Liquid Food“ gehört, allerdings ist Rhum agricole schon sehr speziell und deshalb freuen wir uns, dass wir den Buch-Autor, Blogger und Spirit-Experten Philip Reim von EYE FOR SPIRITS (wieder einmal) für einen interessanten Gastartikel gewinnen konnten.

– ein Gastartikel von Philip Reim (EYE FOR SPIRITS) –

von | Feb 21, 2018 | Bar Talk, Gastbeitrag

Egal, ob du Rum-Einsteiger bist oder dich schon seit Jahren in dieser Szene bewegst, eines haben alle Rum-Fans gemeinsam: Sie sind immer auf der Suche nach neuen Aromen. Sie lesen, diskutieren und probieren, um etwas unter die Nase zu bekommen, das sie so noch nie erlebt haben.

Die Suche nach dem besonderen Kick

Ich kenne viele Einsteiger, Fortgeschrittene und Experten in diesem Thema, und glaube mir, in diesem Punkt sind sie alle gleich. Jeder auf einem anderen Niveau, jeder mit einem anderen Anspruch, aber jeder sucht nach diesem neuen Wow-Moment, diesen Genuss-Moment.

Ich war bereits Jahre in der Rum-Szene unterwegs und hatte bis dato unzählige Zuckerrohr-Spirituosen getrunken. Von Barbados, Jamaica etc. Jede dieser Inseln hatte seinen eigenen Charakter, den du in deren Rums erkennst. So besitzt Kuba einen leichten Körper und weiche Textur; Rums aus Jamaica geben dir hingegen mit ihrem hohen Ester-Gehalt bereits beim ersten Schluck voll eins auf die Zwölf. Selbst die Fiji-Inseln liefern einen Stil, der begeistert.

Aber keiner liefert dir einen solchen Moment wie Rhum agricole.

Verstehe mich nicht falsch. Rums im spanischen oder britischen Stil, wie jene von Kuba, Barbados oder Jamaica gehören für mich zur Elite der Spirituosen-Szene. Aber der erste Moment, in dem du an einem Glas Rhum agricole riechst, reißt dir die Augen auf und dir schießt genau eine Frage durch den Kopf: „Wahnsinn. Das ist auch Rum?“

Und dennoch Rhum agricole, dieser Rum-Stil der ehemaligen französischen Kolonien, ist ein Geheimtipp. Gerade einmal 3 Prozent des weltweiten Rum-Handels entfallen auf die Tropfen von Martinique, Guadeloupe etc. Holst du dir daher ein Glas oder eine Flasche von diesen Inseln, trinkst du aus einer kleinen Nische der Rum-Welt.

Heute möchte ich dir zeigen, warum Rhum agricole so besonders ist und nach welchen Marken du die Augen offen halten solltest.

Wo wird Rhum agricole produziert?

Wirf mal einen Blick auf den Namen „Rhum agricole“. Fällt dir dort irgendwas auf? Es ist das „h“ in „Rhum“.

Überblickst du die Rum-Industrie gibt es nur eine Nation, die diese Schreibeweise verwendet: Frankreich. Dies legt den Schluss nahe, dass Rhum agricole aus Frankreich stammt. Klingt irgendwie logisch. Nur leider gibt es da ein Problem. Rum unterliegt international nicht vielen Verordnungen, dennoch ist eine davon von entscheidender Bedeutung. Denn Rum, darf per se nur aus Zuckerrohr sowie dessen Sirup oder Melasse hergestellt werden. Somit ist jedes Land, in dem kein Zuckerrohr wächst, raus. Rum darf dort nicht hergestellt werden. Zwar können diese dann Zuckerrohr und Melasse importieren, der Kern des Destillats stammt aber aus dem Ausland. Dementsprechend fällt Kontinental-Frankreich als Rum-Produzent raus. Dort wächst kein Zuckerrohr, also gibt es auch keinen französischen Rum.

Bis auf eine Ausnahme….die französischen Übersee-Départements. Die ehemaligen französischen Kolonien wie Martinique, Guadeloupe/Marie-Galante oder La Réunion sind heute offiziell Teil des französischen Staates und somit von Europa. Da dort Zuckerrohr in Hülle und Fülle wächst, bezeichnet man Rum aus jenen Gebieten als „Rhum agricole“.

Im Folgenden habe ich dir eine Liste zusammengestellt, in der du alle Inseln findest, die diesen Rum-Stil produzieren:

  • Guadeloupe/Marie Galante
  • Französisch-Guyana
  • Martinique
  • Réunion
  • Mayotte

Kaum eine andere Rum-Sorte liefert dir so viel „Terroir“.

Ich kann dich schon fast fragen hören: „Wie Terroir? Ist das nicht so ein Wein-Ding?“ Ja, ist es. Wenn wir uns aber einmal die Definition von „Terroir“ anschauen, erkennst du, dass Terroir bei allen Genussmitteln zutrifft, bei denen der Charakter des Rohstoffs im Produkt erkennbar ist. Die deutschsprachige Wikipedia definiert „Terroir“ folgendermaßen

„Je nach Interpretation beschreibt Terroir die naturgegebenen Faktoren (Standortfaktoren) eines bestimmten Stückes Land, welche die Eigenschaften der dort angebauten Kulturpflanzen beeinflussen. Diese werden bestimmt vom Zusammenspiel zwischen der kulturprägenden Tätigkeit des Menschen und den Bedingungen der Natur wie (Mikro-)Klima, Geologie, Gelände, Bodenbeschaffenheit und Klima.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Terroir)

Dies trifft ohne Frage auf viele Weine zu, aber eben auch auf Rum. Vorausgesetzt du erkennst den Charakter und die aromatischen Eigenschaften des Zuckerrohrs. Das Gros der Rums, die du im Handel findest, basieren auf Melasse, einem Nebenprodukt der Zuckergewinnung in Raffinerien. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Die weltbesten Rums basieren auf Melasse. Aber es liefert dir eben kein „Terroir“. Melasse wird hierfür viel zu stark verarbeitet und auch der Ursprung ist selten eindeutig. Rum-Produzenten aus Jamaica, Kuba etc. können ihre Produkte mit Melasse aus heimischen Zuckerrohr nicht mehr bewerkstelligen. Häufig handelt es sich um Importe aus Brasilien oder Venezuela. Wie gesagt, auch daraus entstehen High End-Tropfen. Legst du allerdings Wert darauf, dass du den unverfälschten Zuckerrohrcharakter in deinem Rum erkennst, brauchst du Nischen wie Rhum agricole.

Mache einmal folgendes Experiment. Besorgen dir einen ungereiften, klaren Barbados Rum und einen aus Martinique, ebenfalls ohne Fasslagerung.

Gieße dir je 2 Zentiliter von jeder Spirituose in jeweils ein Glas und rieche an beiden. Glaub mir, der Unterschied wird dich aus den Socken hauen. Und dies obwohl beide zur Kategorie „Rum“ gehören.

Rhum agricole- Destillerien sind für ein solches Bouquet aber unter Zeitdruck. Denn anders als Melasse kannst du frischen Zuckerrohrsaft nicht lange lagern. Direkt nach dem Auspressen muss er innerhalb weniger Stunden weiterverarbeitet werden. Ansonsten wäre die Gärung gestört, ansonsten wäre der Rum nicht besonders.

Wie verkoste ich Rhum agricole?

Ein Rhum agricole bietet dir vor allem eins, ein Bouquet voller Aromen, voller Charakter und voller Individualität. Die Kunst ist es jetzt nur noch, diese auch zu entdecken. Hierfür benötigst du nur drei Utensilien. Ein Nosing-Glas, eine Pipette und stilles Wasser mit wenig Mineralien. Ein Nosing-Glas besitzt einen Stiel und dessen Öffnung ist schmaler als dessen Bauch. Es wirkt etwas wie ein zu klein geratenes Weißwein-Glas. Durch diese Form konzentrieren sich die Aromen des Rums zur Öffnung hin und gehen direkt in deine Nase. Wasser und Pipette solltest du bereithalten, da viele Rhums agricoles mit einem Alkoholgehalt im Bereich von 50 %Vol. abgefüllt werden. Gibst du hier und da etwas Wasser hinzu, entdeckst du womöglich Aromen, die dir ohne verborgen geblieben wären.

Diese Marken von Rhum agricole solltest du kennen

Um einen ersten Einblick in die verschiedenen Tropfen von Rhum agricole zu bekommen, solltest du dich zunächst auf die beiden größten Inseln beschränken: Martinique und Guadeloupe. Diese liefern dir bereits eine Fülle an verschiedenen Destillerien und Marken, dass du hiermit bereits eine lange Zeit glücklich sein wirst. Zudem ist deren Verfügbarkeit in Europa deutlich besser als die von anderen französischen Übersee-Départements. Auf Martinique lohnt sich ein erster Blick auf die Marken J.M, Neisson und La Mauny. Auf Guadeloupe hingegen solltest du einmal Rhums agricoles von Damoiseau oder Bellevue probieren.

Möchtest du noch weitere Hintergrundinformationen und Tipps zu Marken und Destillerien von Rhum agricole haben wir hier einen Leitfaden https://www.eyeforspirits.com/2018/01/04/rhum-agricole/ für dich geschrieben.

Philip Reim schreibt seit 2010 auf seinem Blog eyeforspirits.com über High End-Spirituosen wie Single Malt Scotch Whisky, Cognac, Rum, Gin oder Bourbon Whiskey. Er schrieb eine Examensarbeit zum Thema „Chemie des Whiskys“ und dass er da wirklich Ahnung hat kann man in all seinen Artikeln lesen. Er hat bei omoxx auch schon mal einen tollen Artikel darüber geschrieben, was jeder Gin Liebhaber wissen sollte